Aktueller Standort

Aktueller Standort seit 07. Mai 2011: Wedel und Hamburg, Deutschland

Dienstag, 29. März 2011

3 Kilometer

„Warum nicht mal wieder ein bisschen gelbe Straße ausprobieren?“, überlegen wir, als wir nach vier Tagen Granada verlassen, um zur Isla de Ometepe zu fahren. „Gelbe Straße“ zu fahren bedeutet, dass wir nicht wissen wie die Straßenverhältnisse genau sein werden, was immer ein bisschen spannend ist. Laut unserem Kartenmaterial handelt es sich bei „Gelben Straßen“ um „geteerte oder ungeteerte Nebenstraßen oder sonstige Straßen“, was für Kartographen aussagekräftig erscheinen mag. Tatsächlich bewahrheitet sich der Straßenzustand in der Praxis. Um genau herauszufinden, was es damit auf sich hat, kommt man nicht umhin, sich auf eine solche Straße zu begeben. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass „Gelbe Straßen“ in gutem Zustand sein können (selten), meistens befinden sie sich in weniger gutem Zustand (mies und oft), aber man bekommt in der Regel viel von Land und Leuten zu sehen und wird durch unverwechselbare, nachhaltige Erlebnisse, die sich nur fern der gut ausgebauten Verkehrswege ergeben, belohnt. Wir beschließen also uns in den letzten Tagen in Nica-Land mal wieder ein wenig Abwechslung in unseren Fahreralltag zu bringen. Statt nach Süden, schlagen wir den Weg nach Westen, Richtung Pazifikküste zum kleinen Ort El Astillero, ein. Unser Zeitbudget sollte diesen kleinen Umweg verkraften, denken wir, als wir am späten Vormittag starten. Zunächst fahren wir einige Kilometer auf der legendären Panamericana, um dann nach Santa Teresa abzubiegen. An der Abzweigung soll die „Gelbe Straße“ beginnen, doch erstaunlicherweise sehen wir uns mit einer sehr guten Asphaltdecke konfrontiert. Das Abenteuer scheint heute nicht auf uns zu warten, was uns ebenso recht ist. Die Uhrzeiger bewegen sich munter auf Mittag zu und ein frühes Mittagessen am Strand wäre ja auch nicht schlecht, meinen wir, als wir Santa Teresa passieren. Nica-Land ist zweifelsohne sehr schön, bedeutet aber auch „Land ohne Hinweisschilder“, weshalb es zu einer eher lästigen Angewohnheit geworden ist alle paar Kilometer anzuhalten, um uns zu vergewissern, dass wir noch in die richtige Richtung fahren. Unser Kartenmaterial ist aktuell, jedoch fehlt hier schon mal die eine oder andere Route. Je weiter wir uns von städtischen Gebieten und von „Roten Straßen“ (Hauptstraßen) entfernen desto notwendiger wird die Maßnahme des Nachfragens, um sich nicht heillos zu verzetteln. An einer Kreuzung unweit Santa Teresas halten wir daher, um uns ein paar Hinweise auf den Weg bei ein paar Jungs, die hier gerade rumstehen, zu holen. Wir sollen immer geradeaus fahren, heißt es, was sich einfach anhört, weshalb wir es beherzigen. Im weiteren Verlauf entpuppt sich diese Aussage allerdings als irreführend. Wir stehen an einer weiteren Weggabelung; kein Schild weit und breit und auch kein Mensch, der uns hier zur Seite stehen könnte. Unserer Intuition – und dem Kompass folgend – bleiben wir stur auf der Straße, die geradeaus führt. Siehe da, die Asphaltdecke wird dünner, bis wir auf Schotter stehen. Also doch eine „gelbe Straße ungeteert“! Die Uhr zeigt 12.15 Uhr an, so dass wir uns innerlich schon mal von einem frühen Lunch am Meer verabschieden. Laut Karte ist es aber nicht weit zur Küste, in einer guten Stunde müssten wir es schaffen dort zu sein und Mittagessen kurz nach 13 Uhr ist ja auch noch o.k. Langsam fahren wir über die steinübersäte Sandpiste. Keine 50 Kilometer von Granada hat uns das Landleben längst wieder. Es gibt keine Steinhäuser mehr, nur hier und dort noch Holzhütten. Ein Meister hat sich daran nicht immer versucht, wie schief zugesägte Latten beweisen. Manche Hütte neigt sich gefährlich zur Seite, als drohe sie gleich zusammen zu fallen. Wir sehen keine Strommasten mehr, dafür einige Brunnen, aus denen mittels Handkurbel Wasser gefördert wird. Außerdem: der Weg wird schmaler und schlechter, vom Pazifik keine Spur, dabei müssten wir die Brandung bereits hören können.

13:15 Uhr: wir halten an einer dieser schiefen Hütten, die dann und wann aus dem trockenen, lichten Wald auftauchen und fragen die Bewohner nach der Entfernung zur Küste. „Es ist nicht weit“, lautet die Antwort. Wir wollen wissen, wie weit es ist. Unser Gegenüber kratzt sich nachdenklich die Stirn. Er überlegt angestrengt. Nach einiger Zeit scheint er mit seinen Überlegungen fertig zu sein und teilt uns mit: „3 Kilometer“. Wir sind etwas unsicher, ob diese Angabe stimmt, fragen lieber nochmal nach, in dem wir ihn bitten, uns einfach zu sagen, wie lange er zum Strand läuft. Die Miene des Bauern hellt sich auf und er sagt uns, dass er eine Stunde zu Fuß unterwegs sei. Hm, wir sind immer noch unsicher, ob das stimmt. Vorsichtshalber fragen wir nochmal nach. „Sí, sí“, beteuert er,“ mit dem Fahrrad dauert es 20 Minuten“. O.k., 1 Stunde zu Fuß, 20 Minuten mit dem Rad, das könnte hinkommen, wenngleich uns nicht klar ist, wie man auf dieser sandig-steinigen Piste überhaupt Fahrrad fahren kann. Der Aussage des Mannes nach zu urteilen könnten wir es schaffen zu einem späten Lunch am Meer zu sein. Auch gut, Hauptsache, der Weg wird nicht schlechter, denn inzwischen tasten wir uns vorsichtig über Unebenheiten unterschiedlichen Ausmaßes, was Höhe sowie Breite betrifft, weichen Felsbrocken, Steinen, Baumstämmen aus und müssen dabei darauf achten, dass der Lack nicht zu sehr von wild wachsenden Zweigen zerkratzt wird.


Wir nähern uns der 3. Flussdurchquerung für heute. In weniger als Schrittgeschwindigkeit schaukeln wir voran. Das Wasser ist an dieser Stelle glücklicherweise glasklar, so dass keiner von uns voraus laufen muss um die Wassertiefe und den Untergrund zu checken. Dennoch, die ersten Siedler, die diese Wildnis mit Planwagen erkundeten, waren sicher nicht langsamer. Im Wagen klappert und scheppert es bisweilen; das gesamte Gefährt befindet sich permanent in Bewegung. Immer wieder muss der Land Rover tiefe Absenkungen in der Piste meistern oder über Felsen klettern, die beim Bau des Weges nicht weggeschlagen wurden. Bei unserem Gewicht von fast 3 Tonnen, dazu die Hauptlast auf dem Dach, ist der Schwerpunkt sehr, sehr hoch, so dass der Landy immer mal wieder in extreme Schräglage gerät. Der Wagen ächzt nicht weniger als wir, denn es ist 35 Grad heiß, es staubt und der schmale Weg ist z.T. stark zugewachsen. Na prima, mal wieder eine Weggabelung, als wir an ebensolcher ankommen. Mal wieder stehen wir mutterseelenallein da. Welchen Umständen auch immer es zu verdanken ist wissen wir nicht, doch in Lateinamerika bleibt man nicht lange allein. Meist reichen ein paar Minuten aus, damit sich jemand blicken lässt. So auch hier. Während wir noch rätseln hören wir Pferdegetrappel und abbrechende Zweige. Ein älterer Mann kommt heran geritten. Wir müssen an die Worte von Rinus, selbst Traveller, denken: „wo ein Weg ist sind auch Menschen“. Wie recht er doch hat, wie gut es doch mitunter tut, jemandem zu begegnen, um sich erkundigen zu können.


Inzwischen ist es 14.15h. Der Reiter zeigt uns mehr, wohin wir fahren sollen, als dass er mit uns spricht. Seine Geste soll wohl heißen „weiter geradeaus“. Wir geben uns nicht damit zufrieden, fragen nach der Entfernung. „3 Kilometer“, sagt er, treibt sein Pferd an und verschwindet so schnell, wie er gekommen ist irgendwo hinter uns im Wald. Unser Magenknurren ist nicht mehr zu überhören. Wir entscheiden uns für eine Mittagspause, bevor wir uns durch die Wildnis weiterkämpfen. Es kann ja eigentlich nicht mehr weit sein, beruhigen wir uns, obwohl uns die Kilometerangabe des Reiters etwas stutzig gemacht hat, denn vor einer Stunde hieß es ja auch schon mal, es seien nur noch 3 Kilometer. Wir müssen daran denken, dass Latinos ungern zugeben etwas nicht zu wissen und dafür lieber irgend etwas erfundenes behaupten ...

Wir essen schnell, wollen keine weitere Zeit verlieren, denn zum Strand wollen wir an diesem Nachmittag auf jeden Fall noch kommen. Der Schweiß rinnt in Strömen, als wir wieder loszuckeln. Wir befinden uns inmitten von Trockenwald. Die knorrigen, trockenen Bäume stehen inzwischen dicht an dicht, die Zweige des Buschwerks am Straßenrand machen unangenehme Geräusche am Autolack, dass es nur so in den Ohren schmerzt. Zusätzlich müssen wir aufpassen, dass wir nicht aufsetzen, denn auch die Bodenfreiheit eines Land Rovers ist irgendwann zu Ende. Während Fred den Wagen langsam durch das Gelände manövriert steigt Rebecca immer wieder aus, um die tief herabhängenden Zweige der Bäume zu checken. Sind sie zu stark müssen wir ausweichen, falls möglich. Meistens klappt es und wir können uns an den Zweigen vorbeimogeln oder sie sind so weich, als dass sie der Dachbox und den darauf montierten Solarmodulen nichts anhaben können. Irgendwann aber geht es nicht weiter. Die Bodenfreiheit ist ausgereizt, der Wegrand links und rechts zu stark bewachsen und ein Ast hängt derart tief, dass wir nicht unter durch fahren können. Was tun? Der unwahrscheinliche Fall, dass unsere Machete zum Einsatz kommen soll, die wir uns in Mexiko zugelegt hatten, tritt ein. Es hilft nichts, der Ast muss ab. Nach einigen Minuten intensiver Hiebe auf den armdicken Ast kapituliert dieser schließlich. Wir sind inzwischen etwas genervt. Es ist 15:15 Uhr, das Licht wird bereits golden und kündigt damit an, dass der Tag allmählich zu Ende geht. In knapp 3 Stunden wird es dunkel sein. Wir haben nicht die geringste Ahnung, wo wir sind noch wie weit es ist, als sich uns ein junger Bursche nähert. Abermals fragen wir, abermals lautet die Antwort “3 Kilometer noch“. Wir schauen uns stirnrunzelnd an und fragen sicherheitshalber nochmal nach. „Ja“, sagt er, „ er sei sich gaaanz sicher.“ „Na gut, wahrscheinlich hat er recht, denn es kann auch nach unserem Gefühl nicht mehr weit sein.“ Wir geben Gas, so gut es der Untergrund zulässt. Längst haben wir aufgehört die Flussdurchquerungen zu zählen, so viele sind es auf dieser einzigen Strecke. Der Straßen-, oder besser Wegzustand hat sich so weit verschlechtert, dass wir ausschließlich im Geländegang fahren. Schon früher hatten wir diesen dann und wann zu Hilfe genommen, wenn es darum ging, besonders schwierige Abschnitte zu bewältigen, doch am Ende des Tages werden wir feststellen, dass wir mehrere Stunden im Geländegang unterwegs waren. Landy hat alle Hände voll zu tun uns durch diese Abgeschiedenheit zu bringen. Auch wir haben zu tun, mal stehen wir an einem Fluss, doch diesmal ist nicht zu erkennen, welche Stelle geeignet ist, um auf die andere Seite zu gelangen. Das Wasser ist trüb, so dass wir weder den Untergrund sehen können noch eine Ahnung davon bekommen, wie tief das Wasser ist. Wir denken an Rinus´ Worte und siehe da, ein Pick-up kommt angeholpert. Der hat´s gut, muss nur sein Leergewicht bewegen. Wir nutzen die Gelegenheit und sprechen den Fahrer an: „Faltan 3 kilómetros“, lautet die knappe Antwort, sagt´s, gibt Gas und holpert davon. Ach was ,gibts hier irgendwo eine versteckte Kamera? Die Uhr zeigt 16:15 Uhr. Ein Blick auf unsere Karte bringt auch jetzt keine Erhellung. Zum Umdrehen ist es längst zu spät. Es bleibt nichts anderes übrig, als weiterzufahren. Immerhin wissen wir, dass das Flussbett befahrbar ist. Früher oder später werden wir schon irgendwo ankommen. Die Hoffnung haben wir noch nicht aufgegeben, versuchen uns gegenseitig aufzumuntern, was aber nur noch halb gelingt. Der Wagen ist komplett eingestaubt, da hätten wir uns die Autowäsche in Granada sparen können. Der feine Staub dringt durch jede Ritze ein. Wegen der Hitze müssen wir die Fenster öffnen, wenn wir selbst nicht zerfließen wollen und natürlich sind auch wir längst staubverkrustet. Landy schaukelt weiterhin durch das unwegsame Gelände und wir sind mächtig stolz, wenn man das so sagen darf, auf unser treues Reisemobil, das auch hier wie eine Nähmaschine schnurrt. Die Straße ist weiterhin knochentrocken, von Furchen, Rillen und Buckeln übersät. Gar nicht so einfach, den optimalen Fahrweg zu finden, wobei die Entscheidung durch die Enge des Weges oft abgenommen wird. Um 17:15 Uhr erreichen wir abermals eine Holzhütte. Davor schaukelt ein Mann in einer Hängematte und schaut uns gleichmütig an, als wir näher kommen. Wir halten. Wir fragen, zum x-ten Mal an diesem Tag. Zum x-ten Mal erhalten wir eine Antwort. Sie lautet – und das ist nicht gelogen - „noch 3 Kilometer“. Wir bedanken uns, können uns ein Lachen aber nicht mehr verkneifen. Nun sind auch wir gleichmütig, fahren stur weiter, es nützt ja nichts. Was hatten wir erwartet? Die Richtung zumindest stimmt, denn unser Kompass lügt nicht.

Eine halbe Stunde später glauben wir unseren Augen nicht zu trauen. Der Weg wird nicht nur breiter, es gibt ein Schild. Darauf steht „Ecolodge und Camping“. Hinter dem Schild steht eine Holzhütte und hinter der Holzhütte öffnet sich der Strand zum Meer hin. Am Horizont versinkt glühend rot die Sonne im Pazifik. Wir sind da. Der Mann in der Hängematte hatte ausnahmsweise recht.


P.S. 1: Neben „Gelben Straßen“ weist unsere Karte „Rote Straßen“ auf. Diese sog. Hauptstraßen sind immer geteert. Daneben existieren „Gestrichelte Linien“, die im Glücksfall bessere Eselspfade sind (einfache Schotterpisten, meist einspurig).

P.S. 2: Warum haben wir eigentlich kein Navi dabei? Weil´s oft nix nützt, denn viele Regionen in Lateinamerika sind kartographisch noch gar nicht erfasst. Insbesondere die nicht-touristischen Orte.



1 Kommentar:

  1. Wir haben uns weggeschmissen vor Lachen, das konnten wir uns so richtig vorstellen...
    Bis bald
    Monika

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