Aktueller Standort

Aktueller Standort seit 07. Mai 2011: Wedel und Hamburg, Deutschland

Dienstag, 14. Dezember 2010

Heute machen wir Sonntag

Es ist Dienstag, der 14. Dezember 2010 und wir haben beschlossen, einen freien Tag einzulegen. Wir sind auf einem recht hübschen Campingplatz in San Ignacio (da, wo Belize wieder etwas anheimelnder, fast niedlich ist und irgendwie an deutsche Ländlichkeit erinnert). Seit 9/11 und diesen barbarischen Terrorattacken, sind die wenigen, überhaupt noch vorhandenen Campgrounds mehr oder weniger verwaist. Das war schon in Mexiko so und setzt sich hier fort. Die Campsites, die wir besuchen, wirken verlassen, als wären sie seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Und genau so ist es auch. Kein Ami (aus Amiland kamen mal die meisten Touristen) traut sich mehr raus aus dem Land. „Überall herrschen ja Mord und Totschlag und vor islamistischen Fanatikern ist man sowieso nirgends sicher. Da bleiben wir doch lieber gleich Zuhause. Das schützt unser Leben und stärkt die (US-) amerikansiche Wirtschaft.“ So der so ähnlich scheint die, nun schon seit 9 Jahren anhaltende, allgemeine Haltung in den USA zu sein. Wir stehen daher, wie so oft, ganz allein auf einer riesigen Grasfläche und hatten bei unserer Ankunft die Qual der Wahl. Lieber etwas dichter ans Toilettenhäuschen oder vielleicht doch mehr in den Schatten? Egal, Hauptsache wir können bleiben und erklären Greg, dem Besitzer, dass wir dringend mal Zeit für uns brauchen, was er mit einer hochgezogenen Augenbraue quittiert. Er scheint irgendwie nicht glauben zu können, dass wir sowieso nichts anderes haben als Zeit für uns. Doch er irrt. Wir sind müde und kaputt und irgendwie fehlt im Moment der drive weiterzufahren. Wer hätte gedacht, dass Reisen so anstrengend sein kann? Wir sind selbst überrascht, das festzustellen und haben aus genau diesem Grund das Wochenende wieder eingeführt. Seit 5 Monaten sind wir quasi on the road. Sollten wir doch einmal ein paar Tage an einem Ort verbracht haben so waren diese angefüllt mit dringend zu erledigenden Aktivitäten: Wäsche waschen, Ölwechsel, Einkäufe besorgen, Routenplanung, Reparaturen, Blogberichte verfassen, Mails beantworten, Sport machen oder sich selbst einmal wieder einem kleinen Schönheitsprogramm unterziehen. Alles Dinge, von denen man annehmen könnte, sie nebenbei zu machen (so wie früher Daheim). Nicht jedoch hier, denn alles muss ja zuvor erstmal gesucht und organisiert werden, was ziemlich zeitaufwändig sein kann. Wer weiß schon, wo sich die örtliche Reinigung befindet oder welcher Laden unsere Einkaufsliste am ehesten bedienen kann? Egal, wo wir hinkommen: alles ist neu, anders als im Ort davor und garantiert funktioniert etwas nicht so wie gedacht. Inzwischen sind wir der Meinung, dass die größte Herausforderung vermutlich darin liegt, sich immer wieder auf neue, unbekannte, nicht erahnbare Situationen einzustellen und sich mit dem zu arrangieren, was man vorfindet bzw. nicht vorfindet. Seit Belize z.B. essen wir nicht mehr das, was wir gerne möchten, sondern orientieren uns am nicht eben gerade üppigen Angebot. Ein wirklich hohes Maß an Flexibilität ist vonnöten, um sich tagtäglich zurecht zu finden. Das strengt an. Einziges, tägliches Ritual: ein ausgedehntes Frühstück, bevor wir uns auf den Weg machen, den Landy und uns vorantreiben, um weiter unsere Neugier auf Land und Leute zu stillen. Denn das ist es, was uns motiviert: ein unbeschreiblicher Drang zu erfahren und kennenzulernen, was Planet Erde bereithält. Das ist nicht immer witzig oder schön. Mitunter ist es erschreckend. Erschreckend einfach, erschreckend arm oder einfältig, hässlich, kaputt oder einfach zum Davonlaufen. Doch das gehört dazu, denn es ist eine Wahrheit dieser Erde: traurige Kinderaugen, bettelnde Hände, zerlumpte Alte, schmutzige Obdachlose, zahnlose Mittvierziger, abbruchreife Hütten, abgemagerte Hunde, von Hurricanes zerstörte Dörfer, Perspektivlosigkeit, Armut, Hilflosigkeit, Langeweile. Wir begegnen auch viel Freude, was manchmal kaum vorstellbar ist. Offenbar glückliche Menschen, mögen sie noch so arm sein und aus unserer Sicht entbehrungsreich leben. Vergleiche zu unserem europ. Leben sind fast nicht möglich. Die Abweichungen zu unserem bekannten Standard sind immens, doch wir können guten Gewissens behaupten nichts zu entbehren. Den überbordenden Überfluss haben wir mit überschreiten der US-amerikanische-mexikanischen Grenze hinter uns gelassen. In Mexiko, das kann man getrost sagen, ist der Standard hoch und Überfluss gibt es an vielen Orten. An vielen aber eben auch nicht. Eingeschränkt durch die Größe unseres Reisemobils leben auch wir seit einigen Monaten bescheiden. Es ist eng, in der ersten Zeit haben wir uns andauernd gestoßen, wovon viele blaue Flecken zeugten und wir haben den Wagen bestimmt 4 Mal komplett neu eingeräumt, um ja auch alles unterzubringen. Inzwischen könnten wir ein Drittel unserer Sachen entbehren, vor allem unserer Klamotten (und die Frage, was wir an kleidung mitnehmen, hatte uns wirklich Kopfzerbrechen bereitet). Der Reiz liegt nun nicht mehr im neu Kaufen, sondern in der Nutzung der vorhandenen Ressourcen.

Unsere sog. Servicetage vergehen wie im Flug und uns bleibt – keine Zeit für uns! Mal wieder ein anderes Buch zu lesen als den Reiseführer wäre schön, mal die Füße hochlegen oder einfach nur vor sich hin zu dösen hätte doch auch mal was. Nun machen wir heute unseren ersten Sonntag, Lange schlafen, vor dem Aufstehen Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“-Hörbuch hören, mindestens 3 Tassen Kaffee zum Frühstück trinken und sich danach wieder hinlegen, um sich noch ein paar Kapitel des Buches anzuhören. El Norte – ein woher auch immer kommender, kühler Wettereinfluss beschert uns einen bedeckten Himmel (fast wie Zuhause) und einem Faulenzer-Nachmittag, nur durchbrochen von einer Tasse Kaffee, steht nichts mehr im Wege. Herrlich ist das, mal wirklich nichts zu tun und das auch zu genießen.

An unserem Sonntag bleibt endlich auch Zeit, um über das Danach nachzudenken. Was kommt später? Wie wird es sein, wieder Zuhause zu sein? Fragen, auf die wir heute noch keine echte Antwort wissen. Auf jeden Fall wird es eine riesengroße Umstellung sein und die nächste Herausforderung mit sich bringen. Das wird spannend.

2 Kommentare:

  1. Hallo Ihr Beiden!!

    Dann gönnt Euch mal etwas Ruhe, wir können das seeehr gut verstehen! Dazu muss man so etwas allerdings selbst mal gemacht haben. Wir haben genau für diese Dinge die Zeit zuhause sehr genossen.

    Jetzt sind wir - wie Ihr ja gelesen habt - auch wieder unterwegs. Inzwischen sind wir in NZL angekommen, haben unseren Van bezogen und befassen uns mit genau diesen Dingen: einkaufen, wohin mit den Klamotten, wo kann man waschen ;-) Allerdings ist NZL da zugegebenermaßen deutlich touri-freundlicher!

    Wir wünschen Euch weiterhin ganz viel Spaß, tolle Eindrücke und genug Energie, alles weiterhin geniessen zu können!

    Liebe Grüße aus Kawakawa,
    Jutta + Volker

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  2. Immer wieder Sonntags kommt die Erinnerung!
    Wir haben hier jetzt auch den Schnee und es wird nur wenig geräumt ~ gestreut so gut wie gar nicht. Angeblich ist das Salz schon zur Hälfte alle, trotz größerem Vorrat. Nach Cux fahre ich jetzt immer 1 Std. statt 30 min voll ätzend. Es sieht zwar alles toll aus, aber das ewige Schneeräumen nervt. Am Heilig Abend haben sie 90 % Schnee angesagt. Habe zwischen Weihnachten und Neujahr frei.
    Ich wünsche euch eine schöne Weihnchtszeit und kommt gut ins neue Jahr.
    Lieben Gruß Michi

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